Viele Long Covid-Betroffene haben sich bis heute nicht vollständig von ihrer Covid-19 Infektion oder Nebenwirkungen einer mRNA-Impfung erholt, obwohl sie zuvor, körperlich und geistig fit, voll im Leben standen. Dies geht aus den Ergebnissen einer Umfrage hervor, welche Long Covid Schweiz zwischen Juli und September 2022 unter 584 Personen mit Long Covid oder dem PostVac-Syndrom durchgeführt hat. Aufgrund dieser Ergebnisse fordert die Patientenorganisation gezielte Forschungsförderung, ein Kompetenzzentrum für die Versorgung postinfektiöser Erkrankungen, ein Register zur Erfassung des Ausmasses, sowie für das Verlaufsmonitoring eine nationale Kohorte, für welche das BAG, trotz unbestrittener Dringlichkeit, nicht gewonnen werden konnte.
Bis heute leiden Betroffene an Beschwerden wie Belastungsintoleranz, Erschöpfung, Schmerzen und kognitiven Defiziten. Sie sind bei der Arbeit, ihrer Ausbildung, in der Freizeit, mit Familie und Haushalt nicht mehr voll leistungsfähig und belastbar. Ihre invalidierenden Beschwerden werden von der Ärzteschaft, den Versicherungen und ihrem Umfeld nicht selten psychologisiert und – mit dem Tenor sie seien oder werden ja wieder alle gesund – verharmlost. Kompetenzen, Diagnostik und Behandlungsoptionen für postinfektiöse Erkrankungen fehlen weitgehend. Die Versor-gung der nach Covid-19 chronisch erkrankten und nicht genese-nen Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern ist nicht gewährleistet. Eine besondere Erkenntnis aus dieser Umfrage ist, dass die Belastungsintoleranz* als wichtigstes Symptom angegeben wird. Obwohl sie der Hauptgrund für Leistungseinbussen ist, wird sie von der Ärzteschaft mehrheitlich weder diagnostiziert noch behandelt. Aufgrund dieser Ergebnisse fordert die Patientenorganisation gezielte Forschungsförderung, ein Kompetenzzentrum für die Versorgung postinfektiöser Erkrankungen, ein Register zur Erfassung des Ausmasses, sowie für das Verlaufsmonitoring eine nationale Kohorte, für welche das BAG, trotz unbestrittener Dringlichkeit, nicht gewonnen werden konnte.
Ergebnisse der Umfrage:
- 90% leiden unter Belastungsintoleranz, dem häufigsten und einschränkendsten Symptom
- 94% der Betroffenen krank, 88% mit Schmerzen, Unwohlsein, 97% im Sport eingeschränkt
- Davor >80% gesund und schmerzfrei, psychisch nicht vorbelastet, konnten Sport treiben
- Ein Drittel arbeits- (oder schul-) unfähig, ein Drittel musste Arbeitspensum reduzieren
- Pacing und Ruhe hilft; klassische Aktivierung und Leistungssteigerungen oft schädlich
Steckbrief durchschnittliche Long Covid-Betroffene:
- 45-jährige Frau, körperlich und geistig fit, aktiv, ohne Vorerkrankungen; Kinder, Job, viele Hobbies
- Akut symptomatisch, aber nicht hospitalisiert
- Diagnose Long Covid in einem zweiten Schritt nach vorgängiger Psychologisierung und aufreibendem Ärzte-marathon; nicht behandelt, nicht genesen, gesundgeschrieben
- Leidet seit eineinhalb Jahren unter Belastungsintoleranz und Leistungseinbrüchen bei allen Aktivitäten, die vor der Erkrankung problemlos möglich waren
Details zu den Umfrageergebnissen in der Medienmitteilung (Link unten).
Schlussfolgerungen: Therapieforschung und Kompetenz gefordert
Long Covid Schweiz kann aufgrund der Umfrageergebnisse die Behauptungen einiger Ärzte, dass die Betroffenen mit der Zeit alle wieder gesund werden, nicht teilen. Die Umfrage zeigt klar, dass viele Menschen mit Long Covid trotz hervorragendem körperlichen und geistigen Gesundheitszustand vor ihrer Erkrankung und trotz der verschriebenen Physio- und Ergotherapien auch nach Jahren eingeschränkt sind. Für viele hat sich die belastende Situation durch ihre Belastungsintoleranz, unrealistische Anforderungen und Leistungseinbussen weiter zugespitzt. Viele haben durch Überbelastung, Leistungsdruck vom Arbeitgeber oder der IV oder durch schädliche Fehlbehandlung eine Verschlechterung oder sogar Chronifizierung ihrer Symptome erfahren. Einige haben ihre Arbeitsstelle verloren, die Taggeldversicherung läuft aus oder sie gehören zu den vielen, die durch die IV nicht unterstützt und auf Sozialleistungen angewiesen sein werden. Zwei Drittel können nicht mehr voll arbeiten oder zur Schule gehen. Für experimentelle Ansätze fehlt den Ärzt*innen trotz mangelnder Behandlungsoptionen die Evidenz, aber gleichzeitig werden in der Schweiz nur vereinzelt klinische Studien durchgeführt, um diese geforderten Wirkungsnachweise zu generieren.
Nach zweieinhalb Jahren werden deshalb dringend eine gezielte Forschungsförderung, ein Register, eine nationale Kohorte[1] und ein Kompetenzzentrum für die Versorgung postinfektiöser Erkrankungen wie Long Covid und ME/CFS benötigt. Die schweren und vielleicht lebenslangen Einschränkungen von Menschen im arbeitsfähigen Alter werden auch wirtschaftlich Spuren hinterlassen. Die Betroffenen hoffen, dass Regierungsvertreter die Verantwortung für die Kollateralschäden einer Politik übernehmen, die die Bevölkerung nicht vor SARS-CoV-2 schützt. Long Covid Schweiz hofft, dass dieser Bericht einen Beitrag leisten kann, die Realität der nicht genesenen Betroffenen abzubilden. Wir fordern, dass die Regierung für das kommende Winterhalbjahr die entsprechenden Vorkehrungen trifft, um bei einer weiteren Durchseuchung die grosse vulnerable Gruppe in der Bevölkerung besser zu schützen. Zudem müssen die Prävalenz und der Verlauf von Covid, Long Covid und anderen langfristigen gesundheitlichen Folgen erfasst und die vielen erkrankten Kinder und Erwachsenen effektiver versorgt und unterstützt werden.
[1] Gruppe von Betroffenen, in diesem Fall Menschen mit Long Covid und ME/CFS für Studien
Medienfragen
Chantal Britt, +41 76 588 08 24; chantal.britt@long-covid-info.ch
Hintergrund-Informationen
Auf unserer Webseite Long Covid Schweiz finden Sie Grafiken und zusätzliche Informationen zu unserer Umfrage in einer Präsentation und mehr Hintergrundwissen zum Thema Long Covid.
Medienmitteilung (en français) mit Details zur Umfrage und Medienmitteilung mit den Forderungen.
Umfrage-Ergebnisse (Präsentation) (Presentation in English, présentation en français)
Long Covid Schweiz:
Long Covid Schweiz ist eine Patientenorganisation, die Betroffene unterstützt und die Öffentlichkeit über Covid-Langzeitfolgen informiert. In Online-Foren auf Facebook unterstützen sich über 4000 Betroffene gegenseitig in der Gruppe Long Covid Schweiz, der Gruppe Covid-19 forme longue Suisse und der Gruppe Long Covid Kids Schweiz, welche eine eigene Webseite hat. Wir arbeiten eng mit Partnerorganisationen wie der Schweizerischen Gesellschaft für ME (SGME) und allen relevanten Stakeholdern zusammen. Mit der Organisation Long Covid Europe, einem offiziellen Partner der WHO, sind wir ebenfalls vernetzt und international aktiv. Die gemeinnützige Organisation Long Covid Schweiz finanziert sich durch Vereinsbeiträge, Fördergelder sowie privaten Spenden. An dieser Stelle vielen Dank an unsere Unterstützer*innen.
*Belastungsintoleranz:
Belastungsintoleranz ist der deutsche Begriff für post-exertional malaise (PEM), symptom exacerbation (PESE) oder neuroimmune exhaustion (PENE). Bei Belastungsintoleranz kommt es während oder nach körperlicher und/oder geistiger Anstrengung zu einem Abfall des Leistungs- und Aktivitätsniveaus und einer Verschlechterung der Symptome. PEM ist das Leitsymptom der myalgischen Enzephalomyelitis (oder chronischem Fatigue-Syndrom), einer neuroimmunologischen Erkrankung, die zu einem hohen Grad an körperlicher Behinderung führt. Die genauen Ursachen und Mechanismen sind mangelhaft erforscht. Meist ist der Auslöser ein viraler Infekt. Weltweit sind etwa 17 Millionen Menschen betroffen, in der Schweiz mindestens 16’000. Die WHO stuft ME/CFS seit 1969 als neurologische Erkrankung ein. Gemäss Experten erfüllt die Hälfte der Long Covid-Betroffenen die Kriterien für ME/CFS. Siehe SGME.